Ein Rabbi, ein Imam und ein Pfarrer waren gekommen, um über die Notwendigkeit von Religion in der Gesellschaft zu diskutieren. Doch die Ereignisse im Nahen Osten sind sehr präsent. Das Podiumsgespräch im Oeki Stansstad zeigte deutlich, wie wichtig die offenen und liberalen Kräfte im Friedensprozess sind.
Thomas Vaszary
Mit drei Kerzen für den Frieden und dem vom Publikum spontan mitgesungenen Liebeslied Ubi Caritas begann das Podiumsgespräch der Woche der Religionen Nidwalden ungewohnt. In einem vollgefüllten Saal im Oeki Stansstad mit über 100 Gästen fand das Zeichen des Friedens grossen Anklang. Moderator Norbert Bischofberger, vielen bekannt als SRF-Moderator der Sendungen Sternstunde Religion und Sternstunde Philosophie, machte gleich zu Beginn den Krieg im Nahen Osten zum Thema.
Rabbi Ruven Bar-Ephraim von der Jüdischen Liberalen Gemeinde Or Chadasch in Zürich sprach von einer hoffnungsvollen Verzweiflung, Versöhnung zu finden. Er sei aber auch Israeli und sehe die steigende Wut des Volkes auf die Regierung. «Die Situation ist dermassen schlimm, dass aus dieser desaströsen Situation vielleicht doch eine Möglichkeit für Frieden entsteht», sagte der Rabbi. Imam Kerem Adigüzel, der sich eine Woche zuvor mit Rabbi Ruven in der Citykirche Offener St. Jakob in Zürich zu einer gemeinsamen Klagefeier getroffen hatte, sprach von einem berührenden und bewegenden Treffen, eingebettet in die abrahamitische Tradition. Ob es die Christen als Vermittler brauche, wollte Moderator Norbert Bischofberger wissen. Rabbi Ruven sah es als Einladung, Verzweiflung zu teilen, Unterstützung zu finden und zu geben als eine Minderheit in einem christlichen Land. Dieses Gefühl einer Minderheit konnte Adrian Suter als christkatholischer Pfarrer in Luzern gut nachfühlen. «Ich hoffe, dass sich die Solidarität weltweit ausbreitet und nicht der Konflikt. Imam Kerem und Rabbi Ruven ist das bereits gelungen.»
Imam Kerem ist ein Reformer, der eine offene Moschee plant, in der auch Frauen vorbeten. Er nimmt den Koran wörtlich und lehnt Geistliche und Autoritäten ab, die mit ihren Auslegungen der Glaubensgemeinschaft vorschreiben, wie gute Muslime zu leben haben. «Eine selbstkritische Aufarbeitung der eigenen Kultur und Geschichte ist wichtig. Ich bin auch gross geworden mit Israel gehört von der Landkarte weg. Irgendwann habe ich diese Position überwunden. Diese Polarisierung zu überwinden, ist ein wichtiger Schritt.»
Religionen: Zwischen «alter Zopf» und «Reformen»
Braucht Gesellschaft noch Religion? Moderator Norbert Bischofberger fragte zum eigentlichen Thema des Abends zuerst drei weitere eingeladene Gäste aus der regionalen Politik und Wirtschaft. Die Nidwaldner Landrätin Elena Kaiser, bekennende Atheistin, machte klar, dass bei diesem Thema eine Vertretung der atheistischen Meinung direkt aufs Podium gehöre. «Das ist wie drei Banker diskutieren, ob Boni gerechtfertigt sind.» Es gebe keinen Beweis, dass es Gott gibt. Zudem würden sich gerade die etablierten Religionen an Krieg und Angstmacherei beteiligen. In der Schweiz sei oft von christlichen Werten die Rede, dabei seien das humanistische Werte. Es sind menschliche Werte, die es in jeder Religion gibt, einander zu respektieren und miteinander klarzukommen. «In der Schweiz brauchen wir nicht mehr eine Obrigkeit, die für uns den Alltag regelt», sagte Elena Kaiser.
Die neu gewählte Nidwaldner Nationalrätin Regina Durrer-Knobel ist auch als bekennende Katholikin in vielen Dingen einig mit Elena Kaiser. «Solidarität und Nächstenliebe haben mit dem Menschen zu tun. Religionen sind aber auch unsere Wurzeln, die uns zeigen, woher wir kommen und uns eine Heimat geben.» Landrat Jvo Eicher, Banker und Ökonom, bezeichnete sich als Durchschnittschrist. Religionen als Werte- Gemeinschaften seien wertvoll. Es braucht allerdings andere Ideen als nur Gottesdienste, um an die Menschen zu gelangen.»
Rabbi Ruven Bar-Ephraim, Imam Kerem Adigüzel und Pfarrer Adrian Suter waren sich einig: Selbstbestimmung sei das höchste Gut. Angesichts von Zwangshochzeiten oder Gewaltaufrufen in Moscheen brauche es definitv weniger Religion, sagte Imam Kerem. Die Institutionalisierung des Glaubens habe viele schönen Dinge des Glaubens mies gemacht. Die Menschen bräuchten aber irgendwelche Spiritualität, sagte Rabbi Ruven. Pfarrer Suter machte sich stark für die Anerkennung von mittelgrossen Religionen, betonte aber auch, dass dies Verpflichtungen mit sich bringe wie demokratische Strukturen und offengelegte Finanzen.
Anspruch und Wirklichkeit
Mit einer Akkordeon-Version von Mani Matters «I han es Zündh.lzli azündt» beindruckte Musiker Josef Bachmann das nachdenkliche Publikum und leitete zur Fragerunde über. Bei den Religionen bestehe eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, fragte das Publikum. Imam Kerem meinte, Religion komme immer in einem Kulturmantel daher. Aber der Islam sei kein Staat. Pfarrer Suter sagte, es sei seine Aufgabe, dass der Abstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit kleiner werde. «Alles kommt von Gott, ausser der Glaube an Gott. Wir können frei wählen, gut oder böse. Das hat nichts mit Gott zu tun», meinte Rabbi Ruven und sprach sich für eine Trennung von Kirche und Staat aus.
«Gerade die Liberalen wie wir hier auf dem Podium machen eine Gebetsfeier in einer christlichen Kirche möglich, während die orthodoxen Kollegen vor der Türe stehen bleiben», betonte der Rabbi.
Imam Kerem sagte zum Revolutionsbedarf, dass sich alle 100 Jahre die Prinzipien erneuern würden. «Wie gut es umgesetzt wird, ist eine andere Sache. Nach einer Stagnation kommt es jetzt wieder in Schwung.» Rabbi Ruven sagte, in einem Land wie der Schweiz sei es immer schon eine persönliche Wahl gewesen, ein Kopftuch zu tragen oder nicht. «Eine Beschneidung hängt nicht von mir ab, es ist die Wahl der Familie.»
Rabbi Ruven brachte zum Schluss Lessings Parabel ins Spiel: «Die Religionen sind wie ein grosser Elefant. Die einen sehen den Rüssel, die anderen ein Bein…» Daraufhin meinte Imam Kerem: «Wenn man an die Besonderheit des Lebendigen glaubt, veantwortlich zu leben versucht und gute Taten vollbringt, dann haben wir alle die gleiche Religion.»