Bundesgesetz über die Individualbesteuerung

Sehr geehrte Frau Bundesrätin

Mit Brief vom 2. Dezember 2022 eröffnete der Vorsteher EFD die Vernehmlassung zum Entwurf des Bundesgesetzes über die lndividualbesteuerung.

Wir danken lhnen für die Gelegenheit zur Stellungnahme und lassen uns gerne wie folgt vernehmen.

1 Grundsätzliches

Die Bestrebungen des Bundesrats zur Beseitigung der Heiratsstrafe auf Ebene der direkten Bundessteuer und die Stärkung der Enrwerbsanreize für Zweitverdiener sind zu begrüssen.
Die lndividualbesteuerung hat den Vorteil, dass Ehepaare und unverheiratete Paare gleich besteuert werden, womit die sog. entfällt. Durch die getrennte Besteuerung wird der Anreiz für die Enryerbstätigkeit beider Ehepartner erhöht, was die Chancengleichheit der Geschlechter fördert. Die Gleichberechtigung wird auch dadurch gefördert, dass die Ehepartner ihre Rechte und Pflichten eigenständig ausüben können und über ihre eigene wirtschaftliche Lage selbständig Rechenschaft ablegen, Weiter ermöglicht die lndividualbesteuerung ein vollständig geschlechtsneutrales Steuerverfahren.

Ein Systemwechsel hin zur lndividualbesteuerung zählte bisher bei vielen Kantonen nicht zur bevorzugten Reformvariante. ln vielen Rechtsgebieten werden die Ehegatten als wirtschaftliche Gemeinschaft betrachtet. Die bisherige Zusammenrechnung der Einkommen und Vermögen von Ehegatten und Kindern unter elterlicher Sorge berücksichtigt dies. Die Zusammenrechnung der Einkommen und Vermögen der Ehegatten führt allerdings in gewissen Konstellationen steuerlich zu einer Benachteiligung gegenüber unverheirateten Personen. Zu den Verlierern des heutigen Systems zählen vor allem die Doppelverdiener-Ehepaare, weil das Zweiteinkommen durch die Faktorenaddition bei stark progressiv ausgestalteten Steuertarifen – im Gegensatz zu unverheirateten Personen mit individueller Veranlagung – mit überproportional hohen Steuerabgaben belastet wird. Das Bundesgericht hielt bereits im Jahr 1984 im Leitentscheid <Hegetschweiler) (BGE 110la 7)fest, dass Ehepaare steuerlich nicht stärker belastet werden dürfen als unverheiratete Paare. Von einer unzulässigen Ungleichbehandlung wird ausgegangen, wenn eine Mehrbelastung von mehr als zehn Prozent resultiert (sog. <Heiratsstrafe)). Die Kantone haben seit diesem Leitentscheid die durch zahlreiche Gesetzesrevisionen weitgehend beseitigt oder zumindest deutlich gemildert. ln vielen Kantonen findet heute das Teilsplitting, das Vollsplitting oder der Doppeltarif in Kombination mit gezielten Entlastungen Anwendung. Die Problematik der Heiratsstrafe besteht in vielen Kantonen auf Ebene der Kantons- und Gemeindesteuern nicht mehr.

Vielmehr führt die Faktorenaddition und das Splitting auf Ebene der Kantons- und Gemeindesteuer in vielen Fällen zu einer Besserstellung von Ehepaaren gegenüber Konkubinatspaaren. Ob diese Ungleichbehandlung von nicht verheirateten Paaren verfassungsmässig zulässig ist, darf bezweifelt werden.

Seit dem Urteil Hegetschweiler vom Jahre 1984 hat zudem ein Wandel in der Gesellschaft stattgefunden. Zwar hielt das Bundesgericht bereits im BGE 1 10 la 7 fest, dass das Konkubinat gesellschaftlich weitgehen akzeptiert und keine seltene Ausnahmeerscheinung mehr sei (S. 23). Seither haben sich die Verhältnisse jedoch wesentlich verändert. lm Jahre 1984waren 66% der Wohnbevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren verheiratet. lm Jahre 2021 sind es noch 49%. Besonders stark akzentuiert sich die Änderung bei den jüngeren Personen zwischen 20 und 39 Jahren. ln dieser Bevölkerungsgruppe sank das Verhältnis der Verheirateten von 53% im Jahre 1984 auf noch32o/o im Jahre 2021 (BFS STATPOP). Da in dieser Zeit auch die Erwerbsquote von Frauen zugenommen hat, dürften steuerliche Überlegungen für viele jüngere Paare mit ein Grund sein, nicht zu heiraten. Der Kanton Nidwalden hatte per Ende 2022 insgesamt 29’314 Steuerpflichtige, wovon 10’346 verheiratet waren. Die Mehrheit der Bevölkerung im Erwerbsalter ist nicht verheiratet, weshalb die individuelle Besteuerung für diese Mehrheit bereits heute Tatsache ist.

Ein Wechsel zur lndividualbesteuerung ist ein Systemwechsel, der gesamtschweizerisch für sämtliche Steuerhoheiten umgesetzt werden muss. Eine unterschiedliche Regelung in Bund und Kantonen wäre veranlagungstechnisch nicht zu bewältigen und würde zu Problemen bei interkantonalen Steuerausscheidungen sowie zu einer massiven Entharmonisierung führen und die Komplexität des Steuersystems erhöhen.

Nach Abwägung der Vor- und Nachteile spricht sich der Kanton Nidwalden gegen die lndividualbesteuerung aus. Sollte trotzdem ein Systemwechsel zur lndividualbesteuerung weiterverfolgt werden, ist die Variante 2 der Vernehmlassungsvorlage vorzuziehen.

2 Bemerkungen zur Umsetzung von Variante 1 und 2

Wir begrüssen es, dass in der vorgeschlagenen lndividualbesteuerung gemäss Vernehmlassungsvorlage die Zuteilung der Einkommens- und Vermögensteile auf die Steuerpflichtigen nach den zivilrechtlichen Verhältnissen erfolgt. Eine andere Zuteilung würde zu grossen rechtlichen und praktischen Problemen bei der Veranlagung der Steuerpflichtigen führen. Weiter wird als sinnvoll erachtet, dass die Zuteilung der Abzüge, insbesondere der kinderbezogenen Abzüge, in der Regel pauschal oder durch hälftige Aufteilung erfolgt, was eine möglichst unabhängige Veranlagung der Steuerpflichtigen erleichtert. Es wird daher begrüsst, dass – insbesondere mit Variante 1 – eine möglichst reine lndividualbesteuerung vorgeschlagen wird, damit die Steuerpflichtigen die Steuererklärung selbständig ausfüllen können und die Steuerverfahren der Steuerpflichtigen möglichst unabhängig durchgeführt werden können.

Sollte sich das Modell der lndividualbesteuerung gegenüber der Familienbesteuerung durchsetzen, hat dies weitreichende Folgen für die Ehepaare. Nach dem vorgeschlagenen Modell sollen Ehepaare wie unverheiratete Paare besteuert werden und müssen infolgedessen künftig zwei getrennte Steuererklärungen ausfüllen. Beim erstmaligen Ausfüllen müssen sich diese Ehepaare gezwungenermassen mit der Aufteilung ihrer gemeinsamen Einkommensund Vermögenswerte auseinandersetzen. Dieser Effekt wird angesichts der hohen Scheidungsquote und im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichts zum nachehelichen Unterhalt (BGE 147 lll 249, BGer 5A_568/2021) durchaus begrüsst. Da die meisten Paare dem Zivilstand der Errungenschaftsbeteiligung unterstehen, stellen sich für sie verschiedene Fragen bei der Zuordnung des Vermögens auf die jeweiligen Gütermassen. Durch die getrennte Steuerdeklaration der Ehepaare steigt für die Steuerbehörden die Anzahl der neu zu bearbeitenden Steuerdossiers gesamtschweizerisch um über 1,7 Millionen. Dies führt zu einem erheblichen administrativen Mehraufwand. Da es sich beim Veranlagungsverfahren, um ein Massengeschäft handelt, können diese zusätzlichen Steuerdossiers nur mit einem hohen Automatisierungsrad effizient erledigt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine einfache und harmonisierte Ausgestaltung der gesetzlichen Grundlagen mit pauschalierten Abzügen vorausgesetzt, die keine Koordination mit dem Steuerdossier des anderen Ehegatten verlangt. Das Veranlagungsverfahren gestaltet sich erfahrungsgemäss bereits nach geltendem Recht für getrenntlebende, geschiedene oder unverheiratete Paare mit gemeinsamen Kindern aufgrund der Aufteilung der kinderrelevanten Abzüge auf die beiden Elternteile und/oder bei Liegenschaften im Miteigentum als aufwändig.

Nicht zu vergessen ist auch der damit verbundene lnitialaufwand für die Steuerbehörden. Dazu zählen die Gesetzesänderungen in den Kantonen, die lT-technische Umstellung auf das System der lndividualbesteuerung, die lnformation der Steuerpflichtigen und die Koordination der Veranlagungsverfahren im ersten Jahr, um sicherzustellen, dass auch nach dem Systemwechsel alle Einkommens- und Vermögensteile deklariert werden. Auch beim Steuerbezug führt die Einführung der lndividualbesteuerung zu einem Mehraufwand, da mehr Rechnungen und Zahlungen verarbeitet werden müssen. Für den Kanton Nidwalden würde eine Zunahme um 35 Prozent resultieren.

Nach dem erläuternden Bericht (Ziffer 3.1.12) gerät das Steuerrecht bei Einführung der lndividualbesteuerung in einen Widerspruch zu gewissen anderen Rechtsgebieten. Diese betrachten die Ehe weiterhin als Wirtschaftsgemeinschaft. So basieren z. B. die Berechnungen für die Prämienverbilligungen auf dem Familieneinkommen und -vermögen. Diese Faktoren können heute der gemeinsamen Steuerveranlagung entnommen werden. Bei Einführung der lndividualbesteuerung müssen diese aus verschiedenen Steuerveranlagungen entnommen werden. Dies führt für die die Kantone nicht nur bei der Prämienverbilligung, sondern beispielsweise auch bezüglichen Stipendienwesen, Kita-Beiträge, Ergänzungsleistungen, usw. zu einem Mehraufwand. Zu erwähnen ist, dass die genannte Problematik bereits heute bei allen nicht gemeinsam besteuerten Paaren besteht und dass sich der Mehraufwand auf eine Zunahme der Gesuche, Dossiers und Fälle um etwa einen Drittel beschränkt. Es ist zu prüfen, ob auch in anderen Rechtsbereichen, die auf dem steuerbaren Einkommen und Vermögen zur Berechnung von Leistungen und Ansprüchen basieren, ein Wechsel auf eine zivilstandsneutrale Ausgestaltung angezeigt wäre.

lm Gegensatz zum ordentlichen Veranlagungsverfahren werden bei der Quellensteuer die Ehegatten bereits nach geltendem Recht für das Erwerbseinkommen individuell besteuert. So gesehen würde die Umsetzung der lndividualbesteuerung bei der Quellensteuer keine besonderen Probleme bereiten. Von den neu vorgeschlagenen Abzügen (Haushaltsabzug und Einkommensdifferenzabzug) könnte höchstens der Haushaltsabzug in die Quellensteuertarife eingerechnet werden. Wie im erläuternden Bericht in Ziffer 3.1 .10 ausgeführt, würde dies aber bei den Arbeitgebenden zu wesentlich mehr Sachverhaltsabklärungen führen. Vor diesem Hintergrund wird begrüsst, dass weder der Haushaltsabzug noch der Einkommensdifferenzabzug im Quellensteuertarif berücksichtigt werden sollen. Die Neuregelung führt insgesamt für die Arbeitgebenden zu einer Vereinfachung, hingegen ist mit einem Anstieg von nachträglichen ordentlichen Veranlagungen (NOV) zu rechnen.

Kinderabzug (Art. 35 Abs. 1 Bst. a und b DBG): Die Aufteilung des Kinderabzugs und des Versicherungsabzugs für Kinder soll bei gemeinsamer elterlicher Sorge grundsätzlich hälftig erfolgen. Neu soll beim Kinderabzug zwischen minderjährigen und volljährigen Kindern unterschieden werden. Bei volljährigen Kindern in Ausbildung soll der Abzug dem Elternteil mit den höheren finanziellen Leistungen zustehen. Die vorgeschlagene Regelung mit der Ermittlung der höheren Beiträge erfordert zwingend eine Verfahrenskoordination zwischen den Steuerdossiers der Elternteile, damit die Kinderabzüge nicht doppelt geltend gemacht werden bzw. korrekt zugeteilt werden kann, wer den Abzug von 9’000 Franken und 6’500 Franken geltend machen kann. Eine solche Koordination der Steuerdossiers ist abzulehnen, da dies zu kompliziert ist und einer automatisierten Veranlagung entgegensteht. Auf die Unterscheidung zwischen minderjährigen Kindern und volljährigen Kindern in Ausbildung ist zu verzichten, Art. 35 Abs. 1 Bst. a DBG entsprechend anzupassen und Bst. b zu streichen. Weiter ist der Abzug vom Steuerbetrag von CHF 251 (Art.36 Abs. 2 DBG) zu streichen und der Kinderabzug nach Art. 35 angemessen zu erhöhen. Dieser Abzug vom Steuerbetrag ist steuersystematisch fremd und erschwert die Nachvollziehbarkeit der Steuerberechnung für Eltern.

Die Variante 2 sieht einen degressiv verlaufenden Einkommensdifferenzabzug vor. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass weitere Personen von dem erzielten Einkommen unterhalten werden müssen, Dieser Abzug soll nur für verheiratete Paare gelten, was einer zivilstandsneutralen Besteuerung und der Schaffung von Erwerbsanreizen für Frauen entgegenläuft. Er führt zu erheblichen Vollzugsschwierigkeiten, da er bei sämtlichen verheirateten Personen eine Koordination der Veranlagung unumgänglich macht. Gleichzeitig reduziert er die Steuerbelastung bei Eineinkommens-Ehepaaren in vielen Fällen nur in geringem Ausmass, da er bloss zu einer Reduktion des Steuerbetrages zwischen CHF 0 und maximal CHF 1’667 führt. Dennoch soll der Variante 2 gegenüber Variante Vorzug gegeben werden, da unterschiedliche Einkommen der Ehegatten im Hinblick auf die Belastungsrelationen steuerlich berücksichtigt werden sollen. Allenfalls könnte die Berücksichtigung der unterschiedlichen Einkommen der Ehegatten im Rahmen eines pauschalen Steuerabzugs, welcher keine zwingende Koordination der Deklaration und Verfahren der Ehegatten bedingt, geprüft werden.

3 Finanzielle Auswirkungen

Der Bundesrat rechnet bei der Umsetzung der lndividualbesteuerung mit geschätzten Mindereinnahmen von 1 Milliarde Franken. Da die Kantone mit 2l,2 Prozent an der direkten Bundessteuer partizipieren, haben diese rund 200 Millionen Franken zu übernehmen. Sie müssen die Vorlage im kantonalen Recht ebenfalls umsetzen. Wie sich die Umsetzung der lndividualbesteuerung finanziell auf die Kantone auswirken wird, ist schwierig abzuschätzen, weil die Ausgangslage kantonal sehr unterschiedlich ist. Für Kantone mit einem Splittingmodell dürften je nach Ausgestaltung geringe Mindererträge bis zu Mehrerträgen resultieren.

4 Umsetzungshorizont

Bei einer Einführung der lndividualbesteuerung müsste nach Verabschiedung der Bundesvorlage auch auf kantonaler Ebene das Kernelement der Steuertarife in einem ordentlichen politischen Gesetzesprozess mit Vernehmlassungsverfahren und Einbezug der Gemeinden festgelegt werden. Ausserdem müsste diskutiert werden, ob und inwieweit auch in den weiteren Rechtsgebieten, die heute auf dem Grundsatz der Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft beruhen, Anpassungen vorgenommen werden sollen. Dafür und für die anschliessende technische Umstellung auf allen Staatsebenen und Rechtsgebieten ist eine Umsetzungsfrist von mindestens vier Jahren vorzusehen.

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