Beseitigung und Verhinderung der lnländerinnen- und lnländerdiskriminierung beim Familiennachzug

Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrte Damen und Herren Kommissionsmitglieder

Mit Schreiben vom 8. September 2022 eröffnete die Staatspolitische Kommission des Nationalrates unter anderem bei den Kantonen das Vernehmlassungsverfahren zur Parlamentarischen lnitiative 19.646 in Sachen Beseitigung und Verhinderung der lnländerinnen- und lnländerdiskriminierung bei Familiennachzug. Wir danken für die Möglichkeit zur Stellungnahme.

Es ist unbestritten, dass Schweizer Staatsangehörige im Vergleich zu den Staatsangehörigen, die sich auf das Freizügigkeitsabkommen mit der EU (FZA) stützen können, betreffend Familiennachzug benachteiligt sind. Staatsangehörige, die sich auf das FZA berufen können, können Ehegatten und Verwandte in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten in aufsteigender Linie ohne Verwirkungsfrist in die Schweiz nachziehen, sofern deren Unterhalt gewährt wird (Art. 3 Anhang I FZA). Schweizer Staatsangehörige sind hingegen an die restriktiven Vorschriften von NL42 AIG gebunden. Dies bedeutet, dass Schweizer Staatsangehörige lediglich ausländische Ehegatten und ledige Kinder unter 18 Jahren in die Schweiz nachziehen können. Zusätzlich sind sie an die Verwirkungsfristen von Nt. 47 AIG gebunden. Eine Ausnahmeregelung gilt für Familienangehörige von Schweizer Staatsangehörigen, welche vor der Einreise in die Schweiz im Besitz einer dauerhaften Aufenthaltsbewilligung eines Staates waren, mit dem ein Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen wurde (Nt.42 Abs. 2 AIG).

Mit der geltenden Gesetzgebung und Art. 8 EMRK sind heute vor allem die Hürden für einen aufsteigenden Familiennachzug sehr hoch. Die Migrationsbehörden sind häufig mit Fragen zum Familiennachzug von (eingebürgerten) Schweizerinnen und Schweizern konfrontiert, insbesondere wenn sich die Situation im Herkunftsland oder sich der (Gesundheits-)Zustand der Familienangehörigen im Ausland verschlechtert. Der Bedarf nach erleichterten Bedingungen für den Familiennachzug kann nachvollzogen werden.

Die Erfahrungen der Migrationsbehörden mit dem Freizügigkeitsabkommen zeigen, dass entweder ganze Familien gemeinsam in die Schweiz migrieren oder vorerst einzelne Familienangehörige in die Schweiz einwandern und erst bei Vorliegen von besseren beruflichen Ausbildungen, besseren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt und/oder besseren medizinischen Behandlungsmöglichkeiten weitere Familienangehörige in die Schweiz nachgezogen werden. Dabei muss von der nachziehenden Person der Nachweis erbracht werden, dass sie die nachzuziehenden Personen vor wie auch nach der Einreise in die Schweiz finanziell unterhalten wird und kann. lst die Einreise der nachzuziehenden Personen in die Schweiz aber erfolgt, können die nachgezogenen Familienangehörigen selbst bei Wegfall der Unterhaltsleistungen aus Gründen der Verhältnismässigkeit selten oder gar nicht mehr aus der Schweiz weggewiesen werden. Solche Situationen können entstehen, weil der Person, welcher Unterhalt gewährt werden sollte, arbeitslos geworden ist oder weil nachgezogene Personen in ein Pflegeheim eingewiesen werden müssen. Dies übersteigt regelmässig die finanziellen Möglichkeiten der unterstützenden Person. Beim Nachzug von insbesondere älteren oder bereits volljährigen Kindern sind oft auch Schwierigkeiten bei der sprachlichen und sozialen lntegration zu beobachten.

Werden die Familiennachzugsbestimmungen für Schweizer Staatsangehörige denjenigen des FZA angeglichen, ist davon auszugehen, dass vor allem Schweizerinnen und Schweizer mit Migrationshintergrund versuchen werden, ihre Familienangehörigen in die Schweiz nachzuziehen. Da diese Personen vielfach bereits heute ihre Familien im Heimatland finanziell unterstützen, bestünde bei Vorliegen einer bedarfsgerechten Wohnung im Zeitpunkt der Einreise ein Anspruch auf Familiennachzug. Dies selbst dann, wenn nicht das Zusammenleben als Familie, sondern wirtschaftliche Gründe im Vordergrund stehen. Es muss von einer starken Zunahme von Familiennachzugsgesuchen und damit zu zusätzlichem personellem und finanziellem Aufwand bei den Migrationsbehörden ausgegangen werden. Gleichzeitig ist damit zu rechnen, dass auch die Sozialhilfekosten für die Kantone steigen werden. Der Bericht „Aufenthaltsverläufe von ausländischen Familienangehörigen aus dem Familiennachzug“ des Büros für Arbeits- und sozialpolitischen Studien Bass AG im Auftrag des Staatssekretariats für Migration vom Juni 2020 zeigt auf, dass Familienangehörige, die zu Schweizer und Schweizerinnen zuziehen, die grösste Wahrscheinlichkeit aufweisen, sozialhilfeabhängig zu werden. Dasselbe gilt für zugezogene Familienangehörige im Alter von 18 bis 25 Jahren.

Der Regierungsrat Nidwalden bedankt sich noch einmal für die Möglichkeit zur Stellungnahme. Die vorgesehenen Änderungen lehnen wir gemäss den vorstehenden Erwägungen ab.

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